Der 1. Arztbesuch folgte Mitte Dezember 2013 bei einem Hausarzt gleich ums Eck meiner damaligen WG. Ich studierte zu dem Zeitpunkt Design und Fotografie an der TH-Nürnberg im 2. Semester.
Der nette alte Doktor meinte, es wären alles Anzeichen und Symptome einer Depression. Ich soll doch mal diese Medikament probieren (ein Antidepressivum, ein Stimmungsaufheller).
Damals war ich Medikamenten gegenüber sehr skeptisch, vor allem wenn es in die Richtung Psychopharmaka ging. Gerüchte schossen mir sofort in die Gedanken, wie z.B. „die machen doch abhängig…“.
Also nahm ich das Rezept einfach mal mit nach Hause – ohne es einzulösen.
Ich hatte bei einer super lieben Frau mit lockigen wilden Haaren und sonnigen Gemüt jahrelang Klavierunterricht, bei mir in der Heimat in Niederbayern. Ich wusste, sie unterrichtete nicht nur Klavier, Geige und Flöte, sondern heilt auch irgendwie Menschen. Ihr Name war Nicole.
Also rief ich sie einfach mal an. Vielleicht könnte sie mich ja auch irgendwie heilen.
Es stellte sich heraus, dass das „irgendwie-Menschen-heilen“ Shiatsu war, eine in Japan entwickelte Form der manuellen Therapie, deren historische Wurzeln in Tuina – eine medizinische Massage-Technik aus China – und den frühmodernen japanischen Formen des Anma – あん摩, auch 按摩 ‚traditionelle japanische Massage‘ liegen. (danke Wikipedia).
Die Massagetechnik kann sowohl psychische als auch körperliche Beschwerden lindern. Stress, Kopfschmerzen, Verspannungen, Müdigkeit, Schlaflosigkeit sind nur einige der Symptome, bei denen Shiatsu hilfreich sein kann.
Und somit vereinbarte ich gleich zwei Tage später einen Termin mit ihr aus.
So, zwei Stunden nach Hause fahren, allein, der Radio lief immer auf Bayern 2, da ich es zu der Zeit nicht aushielt Musik zu hören, sondern es wohltuender empfand, Gesprächen zu lauschen. Falls dann Musik kam, schielt ich den Radio wieder aus.
Ich kann mich an vieles nicht mehr so genau erinnern in depressiven Phasen, da ich jegliches Zeitgefühl verlor und alles ineinander verschwimmt. Die Gedanken kreisten, man kommt einfach nicht zum Ende.
Dadurch, dass ich seit meinem 14. Lebensjahr jährlich einen Kalender führe, alles analog, ist es mir möglich den zeitlichen Verlauf meiner Krankheit so festzuhalten und darüber hier so zu berichten.
Es schadet also nicht, wenn man sich mal was notiert, auf Papier. Allerdings Geschmackssache.
Auch meiner Leidenschaft zur Fotografie verdanke ich viele Möglichkeiten, Erinnerungen neu zu erwecken und etwas mehr Zeitgespür da rein zubringen.
Jedenfalls bestätigte mir hier Nicole ebenso, es sei eine Depression, sie habe das schon so oft gesehen.
Ich beschrieb diese innere Unruhe, vor allem in der Bauch-Gegend.
Und man sagt ja nicht umsonst, etwas schlägt einem auf den Magen.
Alle unsere nicht verarbeiteten Emotionen werden im Verdauungssystem gespeichert, und warten darauf gelöst zu werden. Aufgestaute Emotionen, die im Bauchraum über Jahre gesammelt wurden, können mit Shiatsu-Massagen gelockert und abgearbeitet werden.
Also hab ich das mal ausprobiert bei Nicole.
Sie hat mir auch versucht die Mediation näher zu bringen, die man, wie ich finde auch, wie das Klavierspielen, üben muss. Üben, üben und nochmal üben.
Aber zu dem Zeitpunkt, war das unvorstellbar, zu meditieren. Einfach nur dazusitzen und zu atmen.
Das lies dem Gedankenkarussell so viel Luft. Nein. Unvorstellbar.
Dann lieber doch Bayern 2, eine Dokumentation oder eine Serie, die Gedanken versuchen zu betäuben.
Zudem taten mir die Gespräche mit ihr gut.
Dennoch fühlte ich mich danach noch mehr überfordert.
Da fing ich an zu recherchieren.
Da fing ich auch an zu erzählen, natürlich erstmal meinem näheren Umfeld, der Familie.
Ganz wenig. Das Sprechen viel mir immer schwerer.
Die Sätze teilweise unverständlich.
Es ergab irgendwie nichts mehr einen Sinn.
So zog ich mich immer mehr zurück.
Vermied Kontakt mit Freunden.
Konnte Menschenmengen (vor allem den vollen Vorlesungsraum, den Supermarkt, die belebten Straßen der Innenstadt Nürnbergs) nicht mehr ertragen.
Die Energie ging mir immer schneller aus.
Ich wollte nur noch nach Hause, ich wollte nur noch schlafen. Doch an Schlaf war nicht zu denken.
Das Ameisengewusel im Bauch und das Karussell im Kopf, das war nicht auszuschalten.
Irgendwann, total am Ende, schlief ich dann doch mal ein.
Ich sei viel zu jung, um Depressionen zu haben, hieß es hier.
Ich sei doch nur faul, hieß es da.
Reiß dich doch mal zusammen.
Du machst uns alle noch krank.
Das schlimmste bisher: Du bringst uns noch ins Grab.
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Ein kleiner zweiter Einblick in den Beginn meines Krankheitsverlaufes. Ich möchte jeden Montag weitererzählen und aus dem Nähkästchen plaudern. Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass es wichtig ist über das Thema Depression und mentale Gesundheit zu reden. Ich würde mir wünschen, dass man psychisch Erkrankte nicht alle in eine Schublade steckt. Umso offener man kommuniziert, umso eher kann einem geholfen werden, diese Erfahrung musste ich auch machen und umso kürzer kann der Leidensweg sein.
Ihr dürft hier offen alles fragen, schreiben, teilen.
Gerne auch via e-mail.
Mit Liebe, Susi